Leseprobe
© Dieter Full 2014        
Dunkle Tage in Sneem
Ein McEagan-Kriminalroman von Dieter Full
Ort der Handlung: Sneem und Umgebung am Ring of Kerry in Irland Alle Rechte Beim Autor
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Die Kabelbinder schnitten tief in meine Handgelenke und schmerzten höllisch.Ich konnte nur die Umrisse meiner Peiniger sehen, da mich die schräg über dem Horizont stehende Abendsonne blendete. Aber das war bei Weitem nicht meine größte Sorge. Drei Männer hatten mich vor einer halben Stunde brutal vom Rücksitz ihres Wagens gezerrt und mich neben das Hafenbecken am Gleesk Pier gestellt, während der vierte Mann, offensichtlich ihr Anführer, abseits stand. Ich sollte mich nicht rühren. Der Höllenschmerz im rechten Oberschenkel ließ langsam nach. Einer von ihnen hatte mir sein Knie gegen den Oberschenkel gerammt. Er hatte genau die richtige Stelle getroffen. In der Schule nannten wir es Pferdekuss, daran erinnere ich mich flüchtig. Ich zittere unkontrolliert und näherte mich der Verzweiflung, denn ich hatte keine Ahnung, was die Männer von mir wollten, hatte aber eine schlimme Befürchtung, und das machte mir Angst. Sehr viel Angst. Vier mir völlig fremde Männer hatten meinen Wagen angehalten. Einer hielt mir einen Revolver vors Auge und zwang mich, zu ihnen ins Auto zu steigen. Die Fahrt endete hier am Pier. Ich hatte wiederholt gefragt, was sie von mir wollten, aber keine Antwort erhalten. Es musste damit zu tun haben, was mit Forrest passiert war. Ich durfte gar nicht daran denken, sonst würde mir wieder schlecht werden. In was zur Hölle bin ich da hineingeraten? Oder ist das alles ein Albtraum? Wache ich gleich auf? Alles sprach dagegen. Es war harte Realität. Was hatten sie mit mir vor? Und wer waren sie überhaupt? Polizei? Geheimdienst? Gangster? Letzteres schien mir am wahrscheinlichsten. Und aus der Gegend stammten sie auch nicht. Sie besprachen sich noch immer und deuteten hin und wieder auf mich. Der vermutliche Anführer schien zu einer Entscheidung gekommen zu sein, denn er kam nun zu mir rüber. Etwa einen Meter vor mir blieb er stehen und sah mich mit diesen kalten, gletscherfarbenen Augen fragend an. Nein, er hatte sich noch nicht entschieden. Ich sah Unschlüssigkeit in seinen Augen. Hoffnung wuchs in mir. Hatten sie mich verwechselt! Das war die Lösung. Ich spürte etwas wie Erleichterung. “Du hattest es vorhin sehr eilig.” Allein die Stimme ließ Böses ahnen. Mein Herz setzte aus, dann fing es wieder an zu rasen. Shit, sie wussten, wo ich gewesen war. Bei wem könnte ich sonst gewesen sein? Hunderte Theorien rasten mir durch den Kopf, aber ich konnte keine festhalten. Ich fühlte mich unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Nur Fragmente meiner Gedanken kreisten, getrieben von Angst, fürchterlicher schweißnasser Angst. Er hatte rote Haare, nicht die üblichen roten Haare, sondern feuerrote Haare mit dem üblichen blassen und sommersprossigen Teint. Er zog ein Messer aus seinem Gürtel und begann gelangweilt, seine Fingernägel zu säubern. „Hör zu Freundchen, ich frage grundsätzlich nur einmal. Für dich mach ich jetzt nochmal eine Ausnahme. Jede weitere Frage, auf die ich keine Antwort erhalte, kostet dich einen Finger, also woher kamst du?“ „Vom Wald, ich kam vom Wald“, sprudelt es aus mir heraus und mir war schlagartig klar, dass es Verbrecher waren. Gangster von der übelsten Sorte. Gangster, wie ich sie bisher nur aus dem Fernsehen kannte.  Der Rothaarige legte seine Stirn in Falten und sah mich durchdringend an, fast so, als könnte er meine Gedanken lesen. „Du strapazierst meine Geduld! Bei wem warst du und zu wem wolltet du?“ Sie wissen es! Sie waren auch dort. Sie haben es auch gesehen, nein, sie haben es wahrscheinlich sogar selbst getan! „Ich habe einen Freund besucht, aber der war nicht zuhause.“ “Lügen kosten zwei Finger, habe ich das nicht gesagt?“ Heilige Mutter Gottes, hilf mir. Wenn ich ihnen jetzt erzähle, was ich gesehen habe, bin ich der Nächste „Ich wollte wirklich einen Freund besuchen, ich schwöre es.“ „Und, hast du?“ „Ja, ich war da und habe dreimal geklopft, er war aber nicht zuhause.“ „Mel, fang mit dem Daumen an!“ Der Angesprochene schien geradezu darauf gewartet zu haben und fing an zu grinsen, als er ebenfalls ein Messer zog. Sein Grinsen entblößte zwei Reihen sehr kleiner und spitzer Zähne. Seine weit auseinander stehenden Augen zeigten nichts als Falschheit. Er erinnerte mich an einen Hai. „Ich meinte, er war nicht wirklich zuhause, er war gestorben, hatte sich erhängt. Ich habe mich derart erschrocken, dass ich nur noch wegwollte. Dann habt ihr mich angehalten und aus dem Wagen gezerrt. Ich weiß überhaupt nicht, was ihr von mir wollt.“ „So, so, erhängt hat sich dein Freund. Und warum hattest du es so eilig? Wolltest du deiner Bürgerpflicht nachkommen und den Doktor holen oder Hilfe? Ich denke, du warst auf dem auf dem Weg zu den Bullen, stimmt’s?“ Sie wussten alles. Sie haben Forrest aufgehängt und sie wissen, dass ich weiß, dass sie es getan haben. Ich hatte bislang keine Ahnung, was sie damit zu tun hatten, aber sie und ihr Auto waren mir auf der Straße in den Wald aufgefallen und ich hätte sie beschreiben können. War es das jetzt mit meinem Leben? Habe ich meine Frau und meine Tochter das letzte Mal gesehen? Meine Tochter. Sie hat zwei kleine Mädchen und ich habe sie noch nie gesehen. Sie wollten im Herbst nach Irland kommen, damit die Kinder ihre Großeltern kennenlernen. Würden die Kinder ihren Großvater nur aus Erzählungen kennen? Als den Mann, den man am Gleesk Pier getötet hatte? Ich wusste, dass mein Leben keine Krabbe mehr wert war. Ich versuchte, mich dumm zu stellen, meine vielleicht letzte Chance: „Und was habt ihr damit zu tun? Kanntet ihr Forrest auch?“ „Nur sehr kurz“, antwortete der Rothaarige. „Glaubt ihr vielleicht, ich hätte etwas mit seinem Tod zu tun? Als ich ankam war er schon tot. Ganz ehrlich. Hat wohl nicht mehr leben wollen, der Alte.“ Der Rothaarige schien jegliches Interesse an mir verloren zu haben, und ich schöpfte neuen Mut. „Wisst ihr, der hat schon oft von Selbstmord gefaselt. Wundert mich, dass er es nicht schon vor Jahren getan hat, so wie der in seiner Hütte vegetiert hat. Niemand hätte sich darüber aufgeregt“, rief ich dem Rothaarigen nach, der sich anschickte, in den Volvo zu steigen. Dort sah ich einen der Kerle, eine Schrotflinte aus dem Kofferraum nehmen. Es musste der Bruder vom Hai sein. Die gleichen auseinander stehenden Augen. Der Rothaarige sollte mir doch verdammt noch mal helfen. Ich wollte ihm nachlaufen, als mein Kopf nach hinten gerissen wurde und ich ein Messer am Hals spürte. Es musste der Hai sein, der es offensichtlich sehr bedauerte, dass er mir keinen Finger abschneiden durfte. „Bleib stehen und halt die Schnauze, sonst schlitz ich dich“, zischte er mir ins Ohr. Ich wagte nicht mehr zu atmen. In meinem Kopf stürzten alle Bilder auf einmal zusammen, meine Frau, meine Tochter, meine Enkel, die ich nur von Fotos her kannte, meine Nachbarin, auf die ich vor Jahren mal erfolglos ein Auge geworfen hatte und die heute noch keine Gelegenheit ausließ, mich mit ihrem geilen Hintern zu reizen und mich dabei anzugrinsen, unser Pfarrer, was zum Teufel hatte der Bastard in meinem Kopf zu tun? Die Stimme hinter mir unterbrach mein wirres Gedankenkarussell. „Hey“, sagte der Hai und ließ meinen Kopf los, „schau mal.“ Ich starrte in den Lauf der Schrotflinte. Das kann nicht wahr sein. Gleich fangen sie an zu lachen. Wollen nur ihren Spaß mit mir machen, diese Arschlöcher. Maria,Mutter Gottes, hilf mir. Dann gab es diese fürchterliche Explosion. Ich lag am Boden und fühlte nur noch, wie sich mein Leben langsam davonschlich. ------- ------Detective Inspector Fiona O’Grady saß am Steuer des mit Sondersignal fahrenden Wagens der Garda. Die Abzweigung zum Pier müsste nun bald auftauchen und sie verringerte die Geschwindigkeit. „Da vorne steht ein Streifenwagen, da muss es sein“, sagte ihr Chef und Beifahrer, Superintendent Alan McEagan. Die Streife lotste sie über die drei Kilometer lange, enge und kurvenreiche Straße bis zum Pier. Vor eineinhalb Stunden war der Anruf der Garda in Kenmare bei der Kriminal-Abteilung des Hauptquartiers in Tralee eingegangen. An dem kleinen Hafen nahe Sneem sei eine männliche Leiche gefunden worden. Gleesk Pier ist ein kleiner Sturmhafen und liegt zum Schutz vor der manchmal sehr ungemütlichen Kenmare Bay hinter einer etwa dreißig Meter breiten Felsnase. Der Tidenhub beträgt etwa drei Meter und lässt das kleine Becken bei Ebbe fast völlig leerlaufen. Er wird deshalb nur hin und wieder von Hobbyfischern mit kleinen Booten benutzt. Sergeant Peter O’Sullivan vom Revier in Kenmare erwartete sie bereits vor dem rot-weißen Absperrband, das aufgeregt in der kräftigen Westbrise flatterte. „Drüben am Kai liegt eine männliche Leiche, offensichtlich aus nächster Nähe mit einer Schrotflinte erschossen. Die beiden Franzosen haben vermutlich die Leiche entdeckt, was auch den Schock der Frau erklärt. Die Frau wurde von der Ambulanz in Begleitung ihres Ehemanns ins Tralee General Hospital gebracht. Beide sind Gäste im City Hotel, wo auch ihre Pässe hinterlegt sind. Ich habe das bereits telefonisch überprüft. Eine erste Vernehmung war wegen der Sprachprobleme nicht möglich, denke aber, dass man das später im Hotel noch nachholen kann. Sonst gibt es wenig. Keine Tatwaffe, soweit ich das bisher feststellen konnte, und kein Fahrzeug in der Nähe.“ „Hmm, und was hältst du persönlich von der Sache?“, fragte McEagan. „Ich habe keinen blassen Schimmer. Ich habe schon viel gesehen, aber das ist etwas völlig anderes. Es erinnert mich eher an die alten  Zeiten der IRA, wenn Sie wissen was ich meine. Grausam, effizient und ohne viel Spuren.“ Die Leiche lag etwa einen Meter von der Mole entfernt und war mit einer blauen Plane abgedeckt. McEagan ging in die Hocke, während O’Sullivan die Plane anhob. Die linke Seite des Halses und Teile der linken Gesichtshälfte waren völlig zerfetzt. McEagan war einiges gewohnt. Verletzungen am Gesicht waren das Schlimmste und das hier war eine Sauerei. Er musste sich abwenden und gegen seinen Brechreiz ankämpfen. Aus den Augenwinkeln sah er O’Grady, wie sie sich an der Mole kniend unter heftigen Krämpfen ins Hafenbecken erbrach. „Opfern“ nannten sie das in der Abteilung. Er konnte sehr gut nachempfinden, dass die beiden Touristen beinahe vom Schlag getroffen wurden. „Schlimm, hm?“, brummte der Sergeant. McEagan hatte sich wieder im Griff. Wie musste ein Mensch gestrickt sein, der einem anderen aus kürzester Entfernung ins Gesicht schießen konnte? Und es sah so aus, als hätte der Mörder mit voller Absicht die Halsschlagader ins Visier genommen. „Kennst du den Toten?“, fragte er. „Soweit ich das noch beurteilen kann, handelt es sich um Sean Galvin, den seine Frau heute Vormittag interessanterweise telefonisch als vermisst gemeldet hat. Er wohnt in Rossdohan auf der andern Seite von Sneem und hat gestern gegen 16 Uhr das Haus verlassen, danach hat sie ihn nicht mehr gesehen oder gesprochen. Er wird allgemein Digger genannt und unterhält einen Einmannbetrieb für Landschaftspflege. Netter, ruhiger und unauffälliger Mann.“------ --------Doktor Finley war bereits eingetroffen und wartete in seinem Wagen. Das Haus war ein einstöckiger Bungalow mit einem liebevoll gepflegten Vorgarten voller prächtig gedeihender Hortensien. Hinter dem Haus sah die Welt etwas anders aus. Eine baufällig anmutende offene Scheune mit rostigem Blechdach dominierte die Szene. Davor standen zwei stark in Jahre gekommene Bagger unterschiedlicher Größe, die beide um die Wette rosteten. Daneben ein großer Gemüsegarten. Das wilde Land um das Grundstück hatte die Einzäunung längst überwuchert und schien sich zur letzten Schlacht aufzumachen, das Gelände wieder zurückzuerobern. Eine dunkelhaarige Frau um die vierzig kam aus dem Gemüsegarten. Sie vermisste ihren Mann seit gestern und hatte sich ohnehin schon die heftigsten Sorgen um ihn gemacht, als sie aber die Besucher erkannte und die Wagen der Garda bemerkte, blieb sie stehen und fing heftig an zu zittern. Ihre schlimmsten Befürchtungen schienen wahr zu werden. O‘Grady und Dr. Finley kümmerten sich um die Frau, die lautlos zusammengebrochen war, und trugen sie ins Haus. McEagan und O‘Sullivan inspizierten unterdessen die Scheune und die Rückseite des Hauses, in der Hoffnung, vielleicht doch noch etwas zu entdecken. Aber es gab nichts außer Ölfässern und alten und rostigen Gerätschaften, wahrscheinlich Teile der Baumaschinen. Und jede Menge Gerümpel in völligem Durcheinander. Hier würden sie nicht weit kommen. Hier sollten sich die Techniker durchquälen. „Sein Auto fehlt“, stellte O’Sullivan fest, „ein blauer Passat, besonderes Kennzeichen: An meinen Lack lass ich nur Wind und Regen.“----- ------McEagan trat auf die Hotelterrasse, um frische Luft zu genießen. Die Abendflut hatte mit ihrem kühlen Wasser das Tal wieder gefüllt und die Temperatur deutlich absinken lassen. Da war sie wieder, die große Frage, die ihn vor jedem neuen Fall quälte, ob er auch dieses Mal den Fall würde lösen können. Würde ihm das Glück neben seinen Erfahrungen immer noch zur Seite stehen? Er war sich selbst gegenüber immer ehrlich gewesen, Neben dem reinen Handwerk eines Ermittlers gehörte immer auch das Quäntchen Glück, den kleinsten und vielleicht wichtigsten Hinweis zu erkennen und richtig zu deuten. Er war einer der erfolgreichsten Ermittler im County Kerry und wusste aus Erfahrung, auch wenn es keine erkennbaren Motive und weder Tatverdächtige noch Zeugen gab, kleinste Minihinweise waren immer vorhanden. Er hoffte, sie auch dieses Mal zu entdecken. Oft waren es Widersprüche oder minimale Fehler in zeitlichen Abläufen, manchmal auch ein Haar oder ein Knopf. Man musste nur manchmal verdammt lange danach suchen und natürlich auch Glück haben. Auch der berühmte Zufall konnte sehr hilfreich sein. Dieser Fall hatte einen besonderen und für ihn ungewohnten Aspekt. Es sah in der Tat wie eine Hinrichtung aus. Da kamen noch weitere mögliche Tatmotive hinzu. Die Beseitigung eines Zeugen zum Beispiel. Zeuge von was? Von einem Verbrechen? Drogen oder ging es gar um Politik? Er musste dem Sergeant recht geben, im Gegensatz zu den meisten Tötungsdelikten war die Lösung hier eher nicht im familiären Umfeld zu suchen. Natürlich durfte man diese Möglichkeit nicht völlig außer Acht lassen. Er fühlte, dass sein Verstand trotz seiner Müdigkeit langsam warmlief, und war nun zuversichtlich, auch dieses Mal den kleinen Zipfel der Erkenntnis zu finden. Sie würden jedes Steinchen so oft umdrehen wie nötig. Morgen hieß die Devise erst einmal wieder Klinkenputzen. Er wurde sich der fast märchenhaften Szenerie bewusst, die der Blick von der Hotelterrasse über die Golden Cove bot, der kleinen Bucht des Sneem Rivers Die Flut hatte ihren Höchststand erreicht und das Wasser stand bis zur Grasnarbe unterhalb der Terrasse. Das letzte Abendrot tauchte die Landschaft in ein fast irreales Licht. Die Hänge der Berge gegenüber lagen im schwarzen Schatten und auf den Gipfeln leuchteten kleine feuerrote Wölkchen, die ihn an Vulkane erinnerten. Die Berge auf Beara, der anderen Seite der Kenmare Bay, leuchteten in der Abendsonne in einem dunklen Rot. Einheimische nannten sie bei diesem Licht Beef-Mountains und nun wusste er auch warum. Fiona trat neben ihn. „Hast du schon einen Plan?“---- ------Wegen seiner Magenbeschwerden bestellte McEagan nur ein Glas Milch und  eine Portion Porridge, gab aber keine weiteren Erklärungen, als die Bedienung ob der außergewöhnlichen Bestellung ihre Stirn in Falten legte. Er erinnerte sich eines Freundes, der darauf schwor, dem morgendlichen Porridge noch ein Glas Jameson zuzufügen. Darauf verzichtete er, aber er musste das unbedingt irgendwann einmal probieren. Es gab noch so viele Dinge, die er noch tun wollte. Auch wichtigere Dinge als Whiskey im Porridge. Er musste sich jetzt endlich eine Liste all der Dinge machen, die er schon immer mal tun wollte und bisher aus den unterschiedlichsten Gründen nicht getan hatte. Viele seiner geheimen Wünsche waren entweder nicht berufs- oder standeskonform oder seine Frau meinte, es sei doch viel zu gefährlich. Ganz oben auf der Liste würde ohne jeden Zweifel das Umsegeln von Irland mit seinen beiden besten Freunden stehen. Das mit dem Whiskey würde weiter unter kommen. Er dachte an seine Tochter. Auch sie versuchte zunehmend, ihn mit Kopfschütteln und sorgenvollem „Aber Papa!“ im Zaum zu halten. Mit welchem Recht überhaupt? War das die in Kindern innenwohnende Rache für die Lästigkeiten während der Erziehung? Immer öfter sah er sich als völlig domestizierten Pensionär am Fenster sitzen, um dem Leben aus sicherer Entfernung zuzuschauen. Seine Frau würde die regelmäßige Einnahme seiner Medikamente überwachen und ihm ab und zu lobend über den Kopf streichen. Er musste etwas Gravierendes ändern. Aber wann? Wenn er in Pension war? War es dann nicht schon zu spät? Wie lange sollte er sich diesen Scheiß überhaupt noch antun? Wäre es nicht sinnvoller, nach einem abgeschlossenen Fall den Superintendenten und die seiner Meinung nach für ein lebenswertes Dasein völlig überflüssigen Krawatten an den Nagel zu hängen und den Dienst zu quittieren? Sie könnten doch ein paar Jahre von ihrem Ersparten und danach von seiner guten Pension leben. Die Liste! Er musste unbedingt mit der Liste beginnen! Er bemerkte Fionas sorgenvollen Blick. „Haderst du mit dir selbst oder mehr allgemein oder liegt dir das Porridge jetzt schon im Magen?“, fragte O‘Grady.----- ------Sean O‘Shea besaß die letzte Farm in Hollywood direkt unterhalb vom Anwesen der Holländer. Sie kannten den Weg inzwischen und parkten zehn Minuten später im Hof der Farm. Ein roter Trecker, der auch schon bessere Tage gesehen hatte, stand mitten im Weg. Ein paar Hühner beäugten sie neugierig und ein freundlicher Collie lag im Schatten und klopfte freundlich mit dem Schwanz in eine Pfütze. Von O’Shea waren nur zwei Beine in Gummistiefeln zu sehen, die unter dem Trecker hervorschauten. Sie stellten sich vor und baten ihn, ein paar Fragen zu beantworten. Er schien weder beeindruckt noch besonders erfreut zu sein, denn er dachte nicht im Traum daran, unter seiner Landmaschine herauszukriechen. Er fragte nur, ob er seinen Trecker wieder falsch geparkt hätte und ob sich der Coach jetzt zu fein für solche niedrigen Arbeiten sei oder ob er immer noch Angst vorm Hund hätte. Dieser hatte zwischenzeitlich sein Schwanzklopfen beendet und seinen Kopf wieder auf die Vorderpfoten gelegt. Von dem Hund könnte O’Shea noch Manieren lernen, dachte McEagan und holte gerade Luft, um sich endlich Gehör zu verschaffen, als O’Grady ihm zuvorkam. „Keineswegs, Mr. O’Shea, uns interessiert keineswegs, wo Sie Ihren Trecker parken. Wir ermitteln im Fall Sean Galvin, Sie haben doch  bestimmt schon von seinem Tod gehört. Wir möchten den Täter so schnell wie möglich dingfest machen und benötigen dazu auch Ihre Hilfe. Laut einer Verbindungsliste der Irish Telecom hat Sie Digger vorgestern angerufen. Wir müssen allen Anrufen nachgehen und wollen deshalb wissen, was der Grund des Anrufes war.“ Das half. O’Shea schob sich tatsächlich so weit hervor, dass sie sein Gesicht sehen konnten. „So, wegen Digger seid Ihr hier“, sagte er nach einer Weile, als hätte er erst noch darüber nachdenken müssen, ob er sich mit ihnen unterhalten sollte. „Ich habe zwei Weiden, die entwässert werden müssen. Digger hat seit Wochen versprochen, sich die Sache anzusehen und mir einen Kostenvoranschlag zu machen. Dreimal hab ich ihn schon daran erinnern müssen. Vorgestern hat er dann endlich zurückgerufen. Montag will er kommen, hat er gesagt, leider aber nicht den Monat oder das Jahr erwähnt.“ „Und wann haben Sie Digger das letzte Mal gesehen?“, wollte O‘Grady weiter wissen. “In den vergangenen zwei Wochen fast täglich, aber nur aus der Ferne. Hat weiter oben beim Holländer gearbeitet.“ „Kennen Sie Digger näher und können Sie uns etwas über ihn erzählen?“ „Wer kennt schon wen? Manchmal kenne ich mich selbst nicht.“ „Aber wie war er denn so?“ “Da fragen Sie besser seine Frau.“----- -------„Hier muss jemand mit mehreren grünen Daumen wohnen“, bemerkte O‘Grady. Dennis O’Brien, der Empfangschef vom Bay Hotel, hatte sie bereits aus dem Wintergarten entdeckt und öffnete die Tür, bevor sie läuten konnten. „Hallo Peter, welch nette Lady bringst du mir denn ins Haus?“ „Hi Dennis, das ist Inspector Fiona O’Grady vom Kerry County Garda Department in Tralee.” „Nett, Sie kennenzulernen, Inspector. Ich muss sagen, da scheint sich bei unserer Garda doch manches zum Besseren hin geändert zu haben. Ich kannte bisher nur Inspectors mit leichter Glatze und Übergewicht. Treten Sie ein in die gute Stube. Den Kollegen können Sie mitbringen oder draußen stehen lassen, ganz wie es Ihnen beliebt. Möchten Sie Kaffee oder Ähnliches?“ „Danke, gerne Kaffee“, erwiderte O‘Grady und sie folgten O‘Brien in den Wintergarten. „Scheußliche Geschichte, was da passiert ist. Ich nehme an, Ihr seid deshalb hier. Im Kerry Radio berichten sie fast stündlich darüber. Nicht zu fassen. Und ausgerechnet in Sneem! Hoffentlich schadet das dem Tourismus nicht.“ Er ging in die Küche und kehrte nach ein paar Minuten mit drei Tassen Kaffee zurück. „Und was kann meine Wenigkeit dabei tun, oder werde ich verdächtigt?“ O’Sullivan fragte nach Fergusson, ob er sich an ihn erinnern könne und was er ihm sonst über den Gast erzählen könne. „Natürlich kann ich mich an ihn erinnern. Ein ruhiger älterer Herr, der so gut wie nie mit jemandem redete. Ich hatte ein wenig den Eindruck, dass er sich auffällig unauffällig benahm, wenn du weißt, was ich meine. Er schien niemanden zu kennen und von Anfang an unbehelligt sein zu wollen. Auffällig war nur seine plötzlich Abreise. Etwas Ungewöhnliches schien passiert zu sein.“ „Hast du eine Idee?“ „Nicht im Geringsten. Familie? Geschäft? Keine Ahnung … Du denkst doch nicht etwa ...?“ „Bislang denken wir gar nichts. Wir interessieren uns nur für den Grund seiner ungewöhnlichen Abreise“, bemerkte O’Grady.----- -------Officer James Neehan von der Sligo Garda fuhr heute schon zum zweiten Mal zum Sligo General Hospital. Ein kalter Nordwestwind blies von See her über die Stadt und schob regenschwangere Wolken vor sich her. Trotz der gerade mal dreizehn Grad war Neehan schon wieder völlig durchgeschwitzt. Seine fünfzig Kilo Übergewicht machten ihm schon beim sonst üblichen geruhsamen Dienst zu schaffen, aber dieser Stress forderte seinen Körper doch erheblich und trieb ihm das Wasser aus allen Poren. Hin und her und rauf und runter. Als er glücklich einen Parkplatz am Krankenhaus gefunden hatte, glaubte er noch, endlich die Identität des Patienten geklärt zu haben, der seit drei Tagen auf der Intensivstation im Koma lag. Ein Spaziergänger hatte ihn schwer verletzt unterhalb der Küstenfelsen gefunden. Vermutlich war er von der oberen Kante neun Meter tief auf das Geröllufer gestürzt. Ob ein Unfall vorlag oder nachgeholfen wurde, konnte bislang nicht geklärt werden. Da der Verletzte keinerlei Papiere bei sich trug, konnte er zunächst nicht identifiziert werden, ebenso rätselhaft war, wie er zu dem Unglücksort gekommen war, der immerhin fünf Kilometer vor der Stadtgrenze lag. Der zuständige Detective Sergeant hatte es vorgezogen, die Untersuchung vom Schreibtisch aus zu leiten, die Fußarbeit hatte er Neehan übertragen. Der hatte sich nun telefonisch mit Doctor Ramesi, dem behandelten Arzt verabredet und wurde sofort empfangen. „Hallo Officer“, begrüßte ihn der Arzt freundlich und fügte nach einem Blick auf den schwer atmenden und schwitzenden Officer hinzu: „Sie hätten auch den Fahrstuhl am Ende des Gebäudes nehmen können.“ „Man muss in Bewegung bleiben, das sollten Sie doch am besten wissen“, schnappte Officer Neehan und nahm sich gleichzeitig fest vor, nächstes Mal den Rat des Arztes zu befolgen. „Schon, aber nicht übertreiben. Ich entnehme der Tatsache Ihres Besuches, dass Ihr Aufruf in der heutigen Ausgabe der Sligo News von Erfolg gekrönt war. Wer ist denn nun unser Patient?“ „Er hat sich vor vier Tagen als Paul O’Sullivan aus Listowel in einem B&B in der Innenstadt eingetragen. Wundern Sie sich also nicht, wenn er aufwacht und Sie ihn nicht verstehen, es sind keine Sprachstörungen, es ist nur der Kerry-Dialekt. Die Wirtin des B&B hat ihn auf dem Bild in der Zeitung sofort erkannt und uns angerufen. Leider haben wir auch bei seinen Sachen keine Papiere gefunden. Wir werden also am Wohnort erst noch rückfragen müssen, um ganz sicherzugehen. Seine wenigen Habseligkeiten habe ich im Wagen. Darunter eine ganze Packung von diesen kleinen Batterien, aber kein dazu passendes Gerät. Ich frage mich, ob sie möglicherweise für eine Uhr benutzt werden, aber als man ihn gefunden hat, trug er keine. Kein Geld, keine Papiere, keine Uhr, möglicherweise wurde er beraubt.“ Doctor Ramesi betrachtete die Knopfzellen eine Weile. „Nein, eine Uhr haben wir bei seinen Sachen auch nicht gefunden, das wüsste ich. Die Batterien könnten auch in ein Hörgerät passen, aber das haben wir auch nicht. Tut mir leid, mit dem Problem kann ich Ihnen nicht helfen.“ „Einen Versuch war es wert“, sagte Officer Neehan resigniert und fügte dann zögerlich hinzu, „ich will ja nicht nerven, aber Sie können wohl immer noch nicht abschätzen, wie lange das noch dauern kann, das mir dem Koma, meine ich?“ „Nein, tut mir leid. Es hat sich im Laufe des Tages keine Veränderung ergeben, was auch uns etwas Sorge bereitet. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch nicht einmal sagen, ob er überhaupt nochmal aufwachen wird. Er hat ein erhebliches Schädelhirntrauma und konnte durch die Notoperation lediglich am sofortigen Exitus gehindert werden. Jetzt können wir nur abwarten und hoffen. Zu ihrer Frage von gestern, ob es aus ärztlicher Sicht Hinweise für ein Fremdverschulden gibt, kann ich auch nichts berichten. Notarzt und Chirurg meinen unisono,  dass sich das aus medizinischer Perspektive nicht beantworten lässt. Aber nicht den Kopf hängen lassen, Sergeant, vielleicht hilft Ihnen etwas anderes. Vor zwei Stunden habe ich den OP-Bericht bekommen. Darin beschreibt der Chirurg eine noch nicht verheilte Verletzung am Kopf. Keine Fraktur, aber eine Verletzung der Kopfhaut, wie sie oft bei Unfällen im Straßenverkehr oder durch einen Schlag mit einem harten Gegenstand entsteht. Drei bis vier Tage älter als die Verletzung durch den Klippensturz.“ „Sagen Sie nur“, meinte Officer Neehan und massierte sich das Kinn, was ihm aber auch nicht zu neuen Erleuchtungen verhalf. „Und noch etwas, Sergeant, wenn wirklich die Möglichkeit besteht, dass er mit Tötungsabsicht gestoßen wurde, dann machen mir die beiden anonymen Anrufe von heute Vormittag Sorgen, in denen sich nach dem Befinden des Patienten erkundigt wurde.“ Neehan sah den Doktor nachdenklich an und fühlte, wie sein Schwitzen wieder zunahm. Auch das noch, dachte er und sagte in der Hoffnung, dass er damit nicht seine Kompetenzen überschritt: „Da mögen Sie recht haben, Doktor. Können Sie den Mann sofort in ein Einzelzimmer verlegen?“ „Das wird sich innerhalb einer Stunde einrichten lassen, aber Sie wissen ja, etwas Schriftliches müssten wir schon haben, wegen der Rechnung und so. Wollen Sie jemanden zur Bewachung einsetzen?“ „Ja, ein Gardai wird in einer halben Stunde hier sein“, und er dachte mit einem flauen Gefühl im Magen an die bevorstehenden Diskussionen mit diesem Arsch von Detective Sergeant. Neehan überlegt, ob er den Doktor bitten sollte, ihm etwas gegen sein Schwitzen zu verschreiben, entschied sich dann aber dagegen. Er wollte sich nicht noch einen der gewöhnlich dummen Ratschläge einfangen, die mit Abnehmen oder Sport oder etwas in der Art zu tun hatten. Er erhob sich ächzend und bedankte sich.----- ------McEagan zwängte sich durch das schmale Fenster und stand im Badezimmer. Toilettenschrank mit dem üblichen Kram, sorgfältig getrennt nach Männlein und Weiblein. Anlässlich der Hausdurchsuchung war er auch im Obergeschoss gewesen und erinnerte sich an den Grundriss. Auffallend war, dass bei Weiblein viele der sonst üblichen Dinge fehlten. Hat wohl alles mitgenommen. Im Mittelteil war die Hausapotheke untergebracht. Üblicher Kram. Der nächste Raum war wohl ein Ankleidezimmer. Er wusste nicht wirklich, wonach er suchen sollte. Schränke von Wand zu Wand mit Türen und unzähligen Schubladen. Besonders imposant waren die Schränke mit den Schuhen. Wenn er dabei an seinen Schuhschrank daheim dachte! Höchstens ein Zehntel der hier gestapelten Herrenschuhe nannte er sein Eigen und die hier waren alle geputzt. Die meisten seiner Schuhe hingegen schrien nach Schuhcreme, die anderen nach dem Schuhmacher. Und was hieß da Schuhschrank. Die meisten seiner Schuhe standen im Treppenhaus und waren regelmäßig Anlass zu Diskussionen. Das nächste Zimmer war wohl das eheliche Schlafzimmer. Die Betten waren gemacht und alles schien aufgeräumt. Normalerweise überließ er die Durchsuchung von Nachttischschubladen seinen weiblichen Mitarbeiterinnen. Jetzt musste es wohl sein. Handschuhe an. Fensterseite zuerst. Vier teure Armbanduhren, eine Schatulle mit Manschettenknöpfen in allen Preisklassen, eine Biografie von Barak Obama, wenig Krimskrams. Das war offensichtlich der Nachttisch des Hausherrn. Andere Seite. Überraschung, völlig leer. Über den Flur lagen zwei Gästezimmer mit einem gemeinsamen Bad dazwischen. Er betrat das nächstgelegene Zimmer und hatte seine erste Überraschung. Das Bett war nicht gemacht und es lagen diverse weibliche Kleidungsstücke im Raum verstreut. Sie schliefen also getrennt. Das musste nichts bedeuten, aber so wie er das Pärchen erlebt hatte, sprach es für Beziehungsprobleme. Ein Schrank stand offen, Shirts und Pullover waren darin gestapelt. Einige Stapel waren etwas verschoben, gerade so, als hätte man in Eile ein paar Sachen herausgezogen. Sah so aus, als hätte es jemand mit dem Packen sehr eilig gehabt. Die Schubladen enthielten das übliche Untendrunter für die Frau von heute. Auf dem Nachttisch lag ein aufgeschlagenes Buch neben einem gerahmten Foto von der Dame des Hauses. Offensichtlich aus jüngeren Tagen. Die Haare waren damals rotvgefärbt. Er nahm das Foto aus dem Rahmen und steckte es ein. Dann öffnete er die erste Schublade vom Nachttisch und wusste schlagartig, warum er dies normalerweise seinen Damen überließ. Er kippte den Inhalt der Schublade aufs Bett und schob alles beiseite, über dessen Verwendungszweck er lieber nicht nachdenken wollte. meinte aber, es in einschlägigen Katalogen schon gesehen zu haben. Übrig blieben zwei kleine schwarze Lederetuis. Er setzte sich und öffnete vorsichtig den ersten Reißverschluss und schloss ihn sogleich wieder. Noch so ein Ding, nur viel kleiner. Dann die Überraschung im zweiten Etui. Vier USB-Sticks. Da hatte O’Grady, als sie das Etui bei der Hausdurchsuchung in der Hand hielt, wohl falsch getippt. Die zweite Schublade enthielt nichts, was ihn im Entferntesten interessierte.------ -----.Sein Schädel pochte und es dauerte einige Minuten, bis er sich an das Geschehen erinnerte, und eine weitere, bis er die Augen öffnen konnte. Er lag auf der Seite und spürte nun auch den Schmerz, den seine Fesseln an den Hand- und Fußgelenken verursachten. Trotz seiner hämmernden Kopfschmerzen und seiner Übelkeit versuchte er, die Augen offen zu halten und seinen Blick zu fokussieren. Zwei Meter von ihm entfernt lag Fiona, ebenfalls gefesselt. Er konnte nicht sehen, ob sie bei Bewusstsein war, sah aber das feine rote Rinnsal Blut, das sich von ihrer rechten Stirnseite über die Wange bis zum Ohr ausgebreitet hatte. Er wollte sich nicht bewegen oder sprechen. Erst musste er die Situation klären, in der sie sich befanden. Nur eines wusste er schon, sie war beschissen. Wie viel Zeit war vergangen? Die eine Torhälfte war offen und nach der Schattenlinie auf dem Fußboden schätzte er den Sonnenstand auf grob elf Uhr. Also war er etwa eine halbe Stunde weg gewesen. Wenn Fiona noch einen Notruf absetzen konnte, musste die Hilfe bereits in Stellung gegangen sein. Aber es sah eher danach aus, dass sie ebenfalls überrascht wurde. Und dann konnten sie noch lange liegen. Man würde frühestens nach ihnen suchen, wenn sie nicht zum Lunch erschienen. Das könnte noch Stunden dauern. Bis dahin wären die Gangster, und es mussten mindestens zwei sein, längst über alle Berge. Mit den Drogen? Waren die hier versteckt? Er versuchte, die Geräusche zu analysieren. Stimmen! Draußen waren undeutliche Stimmen zu hören. Auch im Nebenraum, der nur durch eine Bretterwand abgetrennt war, vernahm er hin und wieder Geräusche, die er aber nicht deuten konnte. Auch was die Stimmen sagten, verstand er nicht. Aber es waren zwei Männern, so viel stand fest. Nun erinnerte er sich an ein weiteres Geräusch, das er gehört hatte, während er aufwachte. Es war ein Fahrzeugmotor gewesen. Oder hatte er geträumt? Wie hätten sie mit einem Auto zum Haus kommen sollen? Ihr Dienstwagen versperrte doch die Zufahrt,----- ------„Ich muss scheißen, ist mir wohl auf den Magen geschlagen“, sagte McEagan und rannte in Richtung Unterholz. Er hörte nicht mehr auf das, was ihm sein Aufpasser nachrief. Er musste versuchen, im Schutz des Unterholzes näher ans Haus zu kommen. Es gab keinen Pfad. Er musste sich durch störrischen Bewuchs kämpfen. Querliegende dicke Äste, mit dickem Moos getarnte Löcher und Dornen, jede Menge Dornen. Er spürte keine Schmerzen, als ihm die Dornen von den verdammten Brombeeren sein ungeschütztes Gesicht zerkratzten. Nur sein rechtes Knie tat schrecklich weh, nachdem er damit beim Sturz in ein Erdloch auf einen Stein gefallen war. Er schwitzte und bekam kaum noch Luft. Keuchend stürmte er weiter. Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, bis er die Rückseite des Hauses erreicht hatte. Er versuchte zunächst seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Von hier aus konnte er nichts unternehmen. Er musste näher an die Fenster heran. Er dachte an die Worte von Tyre: „Bleib in Deckung“. Wenn er jetzt den Wald verlassen würde, wäre er auf sich alleine gestellt. Niemand konnte ihm Feuerschutz geben. Er machte zwei Fenster am Wohngebäude aus und drei am Lager, das genau vor ihm lag. Die Fenster am Haus hatte sicher schon Tyre gecheckt. McEagan ließ sich vorsichtig auf das Kiesbett hinunter. Das erste Fenster von links war dunkel und er konnte nichts erkennen. Beim zweiten Fenster sah er durch das offene Tor auf der gegenüberliegenden Seite die Rückseite des Vans. Der Raum war leer. Am nächsten Fenster konnte er ebenfalls ein offenes Tor sehen, das genug Licht einließ, um zwei am Boden liegende Gestalten erkennen zu können. Sein Herz raste. Das mussten O’Grady und O’Sullivan. Waren sie noch am Leben? Verstärkung hin oder her, er musste jetzt handeln, hatte aber keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Am Tor erschien einer der Männer und zog sofort seine Waffe, als er McEagan am Fenster entdeckte. McEagan ließ sich fallen und hörte den Schuss. Gott sei Dank habe ich den Knall gehört, ging es ihm durch den Kopf, denn Tote hören nichts mehr. Im gleichen Augenblick erkannte er, dass auch das Fenster heil geblieben war. Der Schuss hatte also nicht ihm gegolten. Wem? Seinen Kollegen am Boden? Er musste ihm unbedingt zuvorkommen, bevor er den zweiten Schuss abgeben konnte. Er nahm seine Waffe in beide Hände. Aufspringen und auf die Toröffnung zielen, waren eine Bewegung. Der Mann stand nicht mehr an der gleichen Stelle, er lag mit abgewinkelten Beinen draußen am Boden und rührte sich nicht. Tyre musste ihn erledigt haben. Die Engel sollen ihn dafür küssen. Wo war der zweite Mann? McEagan schlich nach links und spähte um die Ecke. Dort kniete Woolf auf dem Rücken des zweiten Mannes. Er hatte ihn mit grauem Klebeband verziert. Die Pistole des Mannes lag vier Meter entfernt im Kies. Wie zum Teufel war Woolf so schnell hergekommen? Die beiden hatten einen der Männer mit einem Schuss außer Gefecht gesetzt, einen anderen überwältigt und dazwischen ganz nebenbei sein Leben gerettet.----- Ende der Leseprobe, Gesamtzahl der Buchseiten 300  

Die Leseprobe ist aus Platzgründen nicht im Buchsatz

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